top of page

Wie ich an der "50:50 Challenge" scheitere

Die Idee kommt von der BBC aus Großbritannien, seit 2021 macht auch der ORF mit und seit 2022 versuche ich es selbst: Halbe/Halbe – Männer/Frauen. Hinter der „50:50 Challenge“ steckt das Bemühen, die Sichtbarkeit der Frauen und ihren Anteil in der Berichterstattung kontinuierlich zu erhöhen bzw. anzugleichen. Spoiler: Ich scheitere kläglich.



Katja Ilnizki beim Recherchieren und Interview für einen TV-Beitrag.
(c) Daniel Zanetti

Nach 19 Jahren macht Judith Rakers Schluss. Schon Ende des Monats moderiert sie zum letzten Mal die Hauptausgabe der „Tagesschau“, wie der NDR in dieser Woche bekanntgegeben hat. Und damit ist es wieder eine Frau weniger auf dem Nachrichtenbildschirm. Es bleiben: Susanne Daubner und Julia-Niharika Sen neben Thorsten Schröder, Constantin Schreiber und Jens Riewa. Drei Männer – zwei Frauen.


Natürlich – Judith Rakers wurde weder rausgeworfen noch gecancelt. Sie hat sich selbst entschlossen aufzuhören und das ist auch okay. Trotzdem bedaure ich ihren Abschied – als Medienmacherin, Zuschauerin und Frau.


 

74% der Expert:innen sind Männer

Im deutschen Fernsehen kommen auf eine Frau zwei Männer. In Informationsformaten nehmen die Männer knapp drei Viertel der Bildfläche ein. Den Frauen als Expertinnen bleibt so nur ein gutes Viertel des Kuchens. Das belegt eine Studie von 2020 zur „Sichtbarkeit und Vielfalt“ der MaLisa Stiftung in Zusammenarbeit mit der Universität Rostock.


In Österreich sieht es nicht besser aus: 2018 haben Wissenschaftler:innen rund 3.500 politische Nachrichtenbeiträge aus Tageszeitungen, Fernsehen, Radio und Online-Medien untersucht. Das Ergebnis: in einem von vier Beiträgen darf eine Frau sprechen.


Und sind die Frauen dann mal präsent, haben sie – laut Studie – ihren festen Platz: Ihnen gehören die Themenbereichen Schönheit, Pornografie, „Gattin von…“ und Familie. Willkommen in den 50ern!

 


Meine „50:50 Challenge“

Ab 2022 habe ich mir fest vorgenommen, meine eigene „50:50 Challenge“ zu starten, um gegenzusteuern: Bei jedem Beitrag, den ich fürs Fernsehen umsetze, möchte ich Frauen und Männer gleichermaßen zu Wort kommen lassen. Und Frauen am liebsten in Bereichen, die ihnen nicht klischeehaft zugeschrieben werden.


Ich habe also recherchiert, kontaktiert, recherchiert und kontaktiert. Meine persönliche Erfahrung: Frauen als Interviewpartnerinnen zu gewinnen ist deutlich schwerer als Männer.


Frauen sind mir gegenüber selbstkritischer aufgetreten. Sie zweifeln öfter an sich und ihrer Expertise. Sie sind außerdem zeitlich schwerer zu greifen – in vielen Fällen liegt neben dem Beruf auch die Care-Arbeit beinahe ausschließlich bei ihnen. Und eine Frau – überhaupt in einem nicht ganz stereotypen Themengebiet – zu finden, war vor allem zeitintensiv.


 

Vom Suchen und Nicht-Finden

 

Das Suchen und Finden weiblicher Expertinnen und Interviewpartnerinnen war deutlich aufwendiger. Vor allem im tagesaktuellen Nachrichtenjournalismus gibt es die „Ressource Zeit“ nicht unbegrenzt. Oft habe ich aufgegeben und dann doch auf die altbekannten, männlichen Experten aus dem Redaktionsnetzwerk zurückgegriffen.


Gewonnen haben in meiner Berichterstattung am Ende also nicht mein guter Vorsatz, mein Anspruch und Idealismus, sondern schlichtweg die Frage nach Effizienz.


Ein einziges Mal ist es mir gelungen, das Geschlechterverhältnis in einem politischen Beitrag komplett umzukehren. Ich war so stolz: drei Frauen, ein Mann! Und dann ist mir aufgefallen: es geht um Familienpolitik, Kinderbetreuung und Care-Arbeit.


 

Mehr Role Models, bitte

Ich bin eine selbstbewusste Frau, die keine anderen Frauen braucht, um ihren Wert und ihre Möglichkeiten zu kennen. Oder doch? Ist es doch die Sichtbarkeit, die das Bewusstsein schafft und das Bewusstsein das, was am Ende das Selbstverständnis macht?


Ich glaube Ja! Frauen dürfen nicht unsichtbar sein. Schon zugunsten der journalistischen Glaubwürdigkeit nicht. Denn das aktuelle Bild in der Berichterstattung entspricht nicht dem der Realität. Da machen Frauen – sowohl in Deutschland als auch in Österreich – schließlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus.


Ihnen steht als auch mindestens die Hälfte des Kuchens zu – als Expertinnen, Vorständinnen und Kanzlerinnen. Wir brauchen dringend mehr sichtbare Role Models!

 


Was wir tun können

Gibt es in den Redaktionen freie Kapazitäten, sollten wir sie nutzen. Es lohnt sich in die Recherche zu gehen. Raketenwissenschaftlerinnen und IT-Spezialistinnen, Quantenphysikerinnen und Handwerkerinnen – es gibt diese Frauen! Wir müssen sie nur finden.


Und haben wir sie endlich gefunden, dann sollten wir sie unbedingt kontaktieren. Sie ermutigen, Interviews zu geben und bestärken, ihre Stimme und Expertise zu nutzen. Sie vorbereiten, falls es mal schnell gehen muss und sie fest in unser Netzwerk aufnehmen, damit unser nächster Bericht endlich ein faires 50:50 wird.

Comments


bottom of page