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Autorenbildkatja.kokolores

Smartphone killed the Video Star

Ende der 70er Jahre besangen The Buggles den Untergang des Radios. 45 Jahre später sendet das Radio immer noch, dafür steht das Fernsehen vor der Herausforderung zum sogenannten Nebenbei-Medium zu werden. Was „Video killed the Radio Star“ damals nicht kalkuliert hat, ist das Smartphone.



Das Smartphone und seine Apps fordern die Aufmerksamkeit des Publikums; der Fernseher wird zum Second Screen.
(c) Thomas Ulrich

Hunderte Arme strecken Smartphones in die Luft, filmen und halten in Fotos fest, was auf der Bühne passiert. Konzertbesucher:innen beobachten durch die Linse, anstatt einfach selbst zu sehen. Wir alle waren schon einmal diese Art Konzertbesucher:innen - zumindest für ein paar Minuten.


Ein US-amerikanisches Start-Up hat eine Handyhülle mit Vorhängeschloss auf den Markt gebracht. So darf das Telefon zwar mit aufs Konzert, kann währenddessen aber nicht benutzt werden. Tester:innen haben den Konzertbesuch anschließend als lebendiger beschrieben, sie seien "bewusster dabei gewesen".


Was hat das mit dem Fernsehen zu tun? Das Konzert und das Fernsehen haben eins gemeinsam: das Smartphone. Es stiehlt ihnen Aufmerksamkeit und letztlich die Show. Mit einem Unterschied: auf dem Konzert will man mit dem Smartphone den besonderen Moment womöglich noch für die Ewigkeit festhalten. Beim Fernsehen zieht dieses Argument wohl kaum.



TV SPIELT DIE ZWEITE GEIGE

Seit über zehn Jahren beschäftigen sich Medienwissenschaftler:innen mit dem sogenannten Second Screen. Dem Machtkampf zwischen Smartphone und Fernsehgerät, den das Smartphone des Öfteren für sich entscheidet. Laut Media Activity Guide surft mehr als die Hälfte aller Deutschen zumindest gelegentlich im Internet, obwohl zeitgleich der Fernseher läuft.


In den häufigsten Fällen werden zwar Informationen zum laufenden TV-Programm gesucht (61%), doch in vielen Fällen gewinnt auch das Online-Shopping (48%) und spätestens dann hat der große Bildschirm gegen den kleinen Bildschirm verloren. Er nimmt dann nur noch die Rolle als Impulsgeber ein, wenn in der Fernsehwerbung Produkte gezeigt werden, die die Zuschauer:innen dann im Internet suchen (41%).


Das Fernsehen gehört damit - neben Werbeanzeigen auf Suchmaschinen oder Amazon - noch zu den Top 5 der attraktivsten Werbeplattformen. Die Kehrseite der Medaille ist: die Aufmerksamkeit ist schnell weg. In diesem Beispiel geht sie in die Produktrecherche im Internet über - also in eine andere Handlung. Eine Crux, die sonst nur das Radio als klassisches Nebenbei-Medium kennt.



Diagnose: Spannungsimmun

Ich selbst bin eine klassische Second Screen Nutzerin. Das war mir lange nicht bewusst. Inzwischen ertappe ich mich aber selbst immer wieder dabei, dass ich zum Smartphone greife. Meistens, wenn das Programm für meinen Geschmack zu sehr "dahinplätschert"; manchmal, wenn ich die Spannung bis zur Auflösung einer Quizfrage nicht mehr erwarten kann.


Ich greife zum Smartphone und dann bestimme ich das Tempo. Nicht das Fernsehen. Ich bestimme, wann ich die Antwort auf eine Frage weiß. RTL-Spannungsbögen á la Günter Jauch laufen bei mir ins Leere. Ich bestimme, wann ich erfahre, ob der Film ein Happy End hat oder nicht. Der Plottwist hat bei mir seine Wirkung verloren.


Bin ich am Smartphone, bin ich nur noch halb beim Fernsehen. Ich lasse mich nicht mehr zur Gänze auf das ein, was zu sehen ist. Ich verpasse dadurch kreative Drehbücher, grandiose Schauspielleistungen, aufwendige Recherchen oder bombastische Bilder, weil ich viel zu oft in meiner Rabbit Hole verschwinde, während sich das Fernsehen neben mir mühevoll einen absendet.


 

DIE ZWEITE GEIGE IST AUCH okay

Einen meiner ersten bewussten Second Screen Momente hat ausgerechnet das öffentlich-rechtliche Fernsehen verschuldet. Seit Jahren wird sonntags unter #tatort der aktuelle Kriminalfall vom Publikum live im Internet kommentiert. Und da möchte noch jemand sagen, öffentlich-rechtliches Fernsehen wie die ARD wäre nicht am Puls der Zeit (höhö).


2014 dann, ein Clou: Die Erfurter Ermittlerin Johanna Grewel steigt selbst ins Twitter-Game (ja, jetzt X-Game) ein. Im Film setzt sie einen Tweet ab, der in Echtzeit der Ausstrahlung beim Publikum aufscheint. Genial, oder? Ich finde, ja! Denn genau darin liegt, meines Erachtens, die große Chance der Second-Screen-Tragödie.


Mithilfe des Smartphones können wir das Publikum nicht nur interaktiv einbinden, wir können so auch die Welt zwischen Fiktion und Realität verschwimmen lassen. Figuren werden echter, nahbarer; crossmediales Storytelling kann neue Dimensionen erschließen. Was ich sagen will: Wir Fernsehmacher:innen müssen uns klar werden, Video wird den Smartphone Star nicht mehr killen können, aber Video kann ihn sich zumindest zunutze machen.

 

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