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Autorenbildkatja.kokolores

Sie, (Herr) Söder!

Wir führen im deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren einen Krieg um Sprache. Ein Krieg, der – insbesondere in diesen Zeiten – unnötiger nicht sein könnte. Und wie es Krieg nun mal an sich hat, mehr zerstört als richtet. Sie, (Herr) Söder skandieren „Gender-Gaga“ und werden dabei von Gegner:innen der gendersensiblen Sprache beklatscht. Doch „Gaga“, (Herr) Söder, ist in meinen Augen nur eines: Ihr Verbot, das ausschließt, was einschließen will und ökonomische Chancen nimmt, anstelle sie zu nutzen.



Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) beschließt mit seinem Kabinett ein "Gender-Verbot". Gemeint ist aber eigentlich gendersensible Sprache - an Hochschulen, Schulen und der Verwaltung.
(c) Josef A. Preiselbauer

Das bayerische Kabinett (bestehend aus CSU und Freien Wählern) beschließt ein Gender-Verbot. Verboten werden soll aber eigentlich gar nicht das Gendern, sondern lediglich die gendersensible Sprache. Die ist Behörden, Hochschulen und Schulen ab April untersagt. Sie, (Herr) Söder, führen einen Kampf gegen Doppelpunkt, Sternchen, Binnen-I und Glottisschlag.


Dieses Verbot mag für Sie, (Herr) Söder, ein Sieg über kleine Symbole auf Papier sein – tatsächlich ist dieses Verbot aber nur eines: rechtspopulistisch. Rechts, weil es sich gegen Gender – gegen die sozial-konstruierten Geschlechter – wendet und populistisch, weil es damit der „jungen, linken Diskurs-Elite“ vermeintlich einen Riegel vorschiebt.


Was also ist Ihr Ziel, (Herr) Söder? Wähler:innen zurückholen, die Ihre Partei vor vielen Jahren an die AfD verloren hat? Wenn Ihnen das gelingt, (Herr) Söder, dann dürfen Sie sich glücklich schätzen. Dann können Sie voller Stolz auf einen Kreis von Wähler:innen schauen, deren drängendstes Problem im Leben die gendersensible Sprache ist – Chapeau!



KEIN PLURALISMUS, KEIN LIBERALISMUS

Das Bestreben der gendersensiblen Sprache ist es, in einer pluralistischen Gesellschaft so viele Menschen wie möglich einzuschließen. Wenn das durch einen Doppelpunkt, ein Sternchen, ein Binnen-I oder eine kleine Pause in einem Wort gelingt, warum nicht?


Gendersensible Sprache ist eine kleine Form für ein großes Anliegen: Teilhabe. Sie, (Herr) Söder wollen also tausenden Menschen die Teilhabe in Bayern verwehren? Sie, (Herr) Söder wollen also aus unserer pluralistischen Gesellschaft eine anti-pluralistische Gesellschaft formen? Ist das Ihr Anliegen, (Herr) Söder?


Zu sprechen und zu schreiben, wie es mir gefällt und wie ich es für richtig halte, ist in weiten Teilen vom Grundgesetz gedeckt – das nennt sich Rede- bzw. Meinungsfreiheit. Mit Ihrem Verbot, (Herr) Söder, wollen Sie also Millionen Menschen ein Grundrecht verwehren? Sie, (Herr) Söder wollen also Freiheit von Menschen nehmen?



MEHRHEIT GEGEN GENDERSENSIBLE SPRACHE

Zur Wahrheit der Debatte gehören allerdings auch eine Hand voll Umfragen, die belegen, dass die Mehrheit der Menschen (in Deutschland wie auch in Österreich) gegen „das Gendern“ ist. Gemeint ist – ich wiederhole mich – die gendersensible Sprache, nicht das Gendern per se. Denn spätestens, wenn ich einen heterosexuellen, konservativen CIS-Mann frage, wie es denn „seinem Partner“ ginge, würde er mich korrigieren und gendern: „meiner Partnerin“.


Abgesehen von diesem konkreten Beispiel hat das generische Maskulin (die rein männliche Form) eine verdammt große Lobby. Woran liegt das? Warum ist der Widerstand gegen gendersensible Sprache so groß? Studien belegen, gendersensible Sprache tut – zumindest beim Lesen – der Verständlichkeit keinen Abbruch. Ich vermute deshalb, es ist das, was es immer ist: ein Grundwiderstand. Ein Grundwiderstand gegen etwas Neues. Das Bedürfnis, Altes und vermeintlich Sicheres festzuhalten, um die Komfortzone nicht verlassen zu müssen.


Aber was kann uns eine größere Sicherheit in einer Gesellschaft geben, als ein freies und offenes Miteinander, das inkludiert und aufeinander Rücksicht nimmt?



ÖKONOMISCHE CHANCE VERPASST, (HERR) SÖDER

Die gesamte Europäische Union verfolgt ein Ziel: die Erwerbsquote von Frauen zu steigern – und zwar insbesondere in ökonomisch-lukrativen Posten und in Bereichen außerhalb der gängigen Rollen-Klischees (beispielsweise MINT-Berufe).


Jetzt zeigen Studien (neben der Ablehnung der gendersensiblen Sprache) aber auch, dass sich Frauen von Stellenanzeigen im generischen Maskulin nicht angesprochen fühlen - der „Projektmanager“ spricht eine „Projektmanagerin“ schlichtweg nicht an. Und ist die Rede immer nur vom „Informatiker“, dann wird eine Frau ihre Chance in diesem Beruf nicht erkennen. Denn es fehlen Role Models.


Mit diesem „Gender-Verbot“ behindern wir also, was wir seit so vielen Jahren krampfhaft versuchen zu erreichen. Sie, (Herr) Söder, lassen eine große (und kostenlose) Chance auf der Straße liegen – viel schlimmer noch: Sie, (Herr) Söder, überfahren sie mit dem Traktor.



WARUM ICH MICH BESCHWEREN DARF

Ich schreibe hier als eine heterosexuelle CIS-Frau, die – abgesehen vom Abbau der liberalen und pluralistischen Gesellschaftsordnung (haha) – nicht viel zu befürchten hat. Oder, (Herr) Söder? Das „Sehr geehrte Damen und Herren“ bleibt schließlich weiterhin erlaubt. Auch „Journalistinnen und Journalisten“ sowie „Söder-Kritikerinnen und Söder-Kritiker“. Lediglich diese kleine – kaum hörbare – Pause im Wort oder diese iRriTiErEnDeN Sonderzeichen zwischen den Buchstaben sollen verboten werden. Die rein weibliche Form darf bleiben - ich beschwere mich aber trotzdem!


Dieses „Gender-Verbot“ bedeutet die Renaissance des generischen Maskulinums. Und da hätte ich mir gerade von den Ministern im Kabinett mehr erwartet – und mit Ministern meine ich jene vier Minister, die eigentlich Ministerinnen sind.


Schon wieder eine Studie belegt: fragen wir nach „geeigneten Politikerinnen und Politikern“ für die nächste Wahl, werden von den Studienteilnehmer:innen weit mehr Frauen genannt. Fragen wir lediglich nach „geeigneten Politikern“, fallen Frauen durch das Raster. Und das ist der Beweis: Sprache schafft Bewusstsein! Und dieses Bewusstsein, (Herr) Söder, möchte ich Ihren vier weiblichen Ministern spätestens zur nächsten Landtagswahl wünschen.

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